18.06.2020
Deutschland als Produktionsstandort (wieder-) entdecken, Lieferketten überdenken, Digitalisierung im und mit dem Mittelstand stärken - diese Maßnahmen sind jetzt das Gebot der Stunde.

reindustrialisierung

Das kleine Virus Corona hat innerhalb kurzer Zeit sehr viele Schwächen in verschiedensten Systemen der Gesellschaft und in Unternehmen offengelegt. Defizite, die über eine lange Zeit verdeckt oder verschleppt wurden, kommen nun mit deutlicher Wucht ans Tageslicht. Die Art und Weise unseres Wirtschaftens, die Zukunftsstrategie für Deutschland, ist grundsätzlich zu überdenken.

Die Abwanderung und Auslagerung der Produktion ins Ausland innerhalb der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass Knowhow abgeflossen ist. Das führte zu einem stetig wachsenden Nachteil für die Innovationsfähigkeit in Europa. Die wenigen noch in Europa verbliebenen Produktionsstandorte sind in hohem Maß von Zulieferern der Vorstufen abhängig. Corona hat Europa aufgezeigt, wie fragil die hoch komplexen Lieferketten mit weiten Entfernungen sind und, dass sie leicht zu unkontrollierten Produktionsstopps führen können. Langgestreckte Lieferwege und Abhängigkeiten haben uns unflexibel werden lassen. Allein an den Beispielen von Schutzmasken, Pharma- und Hygieneartikeln ist gut zu erkennen, wie viel schneller in Asien die Produktentwicklung an die geänderten Marktbedürfnisse angepasst wurde.

Das Virus wird irgendwann hoffentlich überwunden sein. Nachwirkungen des Lockdowns werden noch bis weit ins nächste Jahr zu spüren sein, insbesondere aufgrund einer noch erwartbaren Insolvenzwelle und deren zeitversetzten Auswirkungen in den Liefernetzwerken. Auch die politischen Risiken und Zolldiskussionen in verschiedensten Teilen der Erde haben in den letzten Jahren zugenommen.

Was sind also die Schlussfolgerungen einer Nach-Corona-Welt? Ein „Weiter so“ wohl definitiv nicht. Die Natur war zeitweise entlastet, vor allem durch den massiv gesunkenen Straßenverkehr. Die Rettung der bereits vor Corona steuerlich subventionierten Luftfahrt sollte nicht unser dringendstes Problem sein. Das Kernthema in Europa ist doch, wie es uns gelingt, besonders die mittelständischen Unternehmen besser miteinander zu vernetzen, damit mehr kooperative und nachhaltige Wirtschaftsmodelle entstehen. Es ist genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, um umzusteuern! Es werden zunehmend nachhaltige Modelle diskutiert, wie das der Gemeinwohlökonomie. Viele haben verstanden, dass nicht allein das kurzfristige Aktionärsglück entscheidend ist, sondern dass es darum geht, vielen Anspruchsgruppen gerecht zu werden – Kunden, Mitarbeitern, Kooperationspartnern und der Gesellschaft. An der Stelle ist die mittelständische Wirtschaft weit vorn. Es braucht ein neues Bewusstsein für lokale und ressourcenschonendere internationale Wertschöpfungen. Die Technologien hierfür stehen bereit.

Robotik und Internet of Things (IoT), wie beispielsweise RFID, machen es möglich, dass Lohnkostenunterschiede zwischen den Kontinenten zunehmend irrelevant werden, durch Prozessautomatisierungen und Einsparungen von Logistikkosten. Zudem ermöglichen sie, eine Stärke deutscher Unternehmen auszubauen: Qualität. Microservices, Web-Technologie und Cloud-Plattformen ermöglichen die Flexibilität, die Europa nun braucht. Verschiedene Systeme und Unternehmen können innerhalb kürzester Zeit miteinander zu integrierten Systemen verbunden werden. Und die Einzelinteressen müssen zunehmend den Interessen Mehrerer weichen. Die Zeit der starren Monolithen ist vorbei.

Für die Politik bedeutet es, die längst überfällige massive Ausrichtung der Förderung auf Innovationen der Digitalwirtschaft voranzutreiben. Das kann in Deutschland nur gelingen, wenn einerseits der stark vertretene Mittelstand bei den Fördervorhaben mehr Berücksichtigung bekommt. Und andererseits die Anwendungsunternehmen jetzt befähigt werden, bereits vorhandene Lösungen zügig nutzen zu können. Der BITMi mit seinen Unternehmen hat hier ein umfassendes Knowhow und kann die entsprechenden Anregungen geben, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen:

  • Cloud-Plattformen auf Basis von Microservices und Web-APIs und mit sofortigem Datenaustausch in der Lieferkette ohne langjährige Integration;
  • Einfache und zuverlässige Integrationen von neuen Supply Chains und Nutzung von IoT zur Fehlervermeidung statt Fehlerbehebung in Lieferketten, mit Einbindung der Lieferanten, Produktionsstätten, Logistikern und dezentralen Lagern;
  • „Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment“-Lösungen, damit Lieferant, Logistiker und Kunde SOFORT und automatisiert die Bestände und Entnahmen sehen können, kombiniert mit dahinter geschalteten intelligenten Bestandshaltungsalgorithmen;
  • RFID-unterstützte Lösungen für reale Omnichannel-Prozesse, die die Kapitalbindung durch die Nutzung aller Bestände im Unternehmen drastisch reduzieren und Probleme und Chancen im Absatz realtime transparent machen;
  • Kundenerlebnis statt nur Verkauf, d.h. Nutzung innovativer Lösungen im Handel wie Selfcheckout, RFID, verlängerte Ladentheke und damit zu erreichen, die Kunden im stationären Handel zu halten und gleichzeitig durch die richtigen Informationen noch die richtigen Produkte zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen.

Die Liste dieser bereits vorhandenen Lösungen ließe sich beliebig fortsetzen. Wenn also die Krise ein Gutes hätte, so wäre es, diese Chance zu nutzen, unsere Digitalisierung vom Kopf auf die Füße zu stellen und in eine wirtschaftliche und nachhaltige Richtung zu lenken.

Harald Dittmar

 

Mehr zum Thema IoT und Industrie 4.0

Beitrag in der FAZ